Kriminelle Vereinigung im Wirtschaftsstrafrecht?

Eine kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB kann auch im Wirtschaftsstrafrecht anzunehmen sein. Wir stellen Kriterien vor.

Der Bundesgerichtshof hat sich jüngst zu den Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB geäußert und eine Anwendung im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts erwogen (BGH, Urteil v. 2. Juni 2021, 3 StR 21/21). Dies überrascht zunächst, löst der Begriff doch ganz andere Assoziationen aus. Insbesondere Erscheinungsformen der sogenannten organisierten Kriminalität waren zunächst im Blick der Vorschrift, etwa „mafia-ähnliche“ Vereinigungen – was auch immer hierunter präzise zu verstehen sein sollte.

Weite Auslegung der kriminellen Vereinigung i.S.d. § 129 StGB?

Bei näherer Betrachtung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung wird aber klar, dass die Anwendung auch über typische Konstellationen hinaus durchaus in Betracht kommt. Dies soll anhand der zitierten Entscheidung, deren Aufnahme in die amtliche Sammlung geplant ist, näher aufgezeigt werden.

Wird nun auch im Wirtschaftsstrafrecht die Anwendung der Vorschrift häufiger erfolgen? Werden Wirtschaftsunternehmen in Zukunft als kriminelle Vereinigungen eingestuft werden? Im Ergebnis glauben wir das nicht. Aber auch im Wirtschaftsstrafrecht wird es in Zukunft erforderlich werden, die Vorschrift des § 129 StGB – mit all ihren (prozessualen) Gefahren – im Auge zu behalten. Auch die mediale Schlagkraft des Begriffes sollte nicht verkannt werden.

Kriminelle Vereinigung – was ist das?

§ 129 Abs. 1 StGB lautet auszugsweise:

Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.

Abs. 2 enthält die Definition der Vereinigung:

2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.

Zentrales Merkmal ist die Strafbarkeit der bloßen Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung. Es kommt nicht auf  eine Beteiligung an konkreten Straftaten an. Die Vorschrift hat gerade im Ermittlungsverfahren oft auch eine bedeutsame prozessuale Funktion. Sie dient insbesondere als Grundlage für heimliche Ermittlungsmaßnahmen, etwa Telekommunikationsüberwachung.

Was setzt eine kriminelle Vereinigung voraus?

Die Anwendung der Vorschrift ist trotz der zitierten Legaldefinition alles andere als einfach. Der Bundesgerichtshof fasst seine Entscheidung in nachfolgend zitierten Leitsatz zusammen:

Unter die Legaldefinition der kriminellen Vereinigung können auch Tätergruppierungen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität ebenso wie sonstige Zusammenschlüsse aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität fallen. Erforderlich hierfür ist neben den sonstigen Voraussetzungen, dass der Zusammenschluss ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolgt. [..] Das gemeinsame Interesse muss insbesondere über die bezweckte Begehung der konkreten Straftaten und ein Handeln um eines persönlichen materiellen Vorteils willen hinausgehen.

Übergeordnetes Interesse der kriminellen Vereinigung

Ein solches übergeordnetes Interesse der Vereinigung verstehe sich etwa bei religiösen oder politischen Vereinigungen ohne weiteres (BGH, Urteil v. 2. Juni 2021, 3 StR 21/21, Rn. 22). Soweit Straftaten allerdings lediglich auf Gewinnerzielung ausgerichtet seien, sei – so der BGH  –  eine Gesamtwürdigung der äußeren Umstände zur Ermittlung des übergeordneten Interesses geboten.

Dies sei insbesondere zur Abgrenzung von der Bande erforderlich. Denn andernfalls liege in vielen Fällen einer bandenmäßigen Begehung bereits eine kriminelle Vereinigung vor. Dies widerspreche insbesondere der Gesetzessystematik und dem Willen des Gesetzgebers. Die Vereinigung setzte zusätzliche, über eine bloße Bande hinausgehende Elemente voraus. Die für die Gesamtwürdigung maßgeblichen Umstände fasst der BGH wie folgt (BGH, Urteil v. 2. Juni 2021, 3 StR 21/21, Rn. 33):

Hierzu zählen insbesondere der Umfang und das Ausmaß genutzter – gegebenenfalls auch grenzüberschreitender – organisatorischer Strukturen sowie sachlicher Mittel, eine festgelegte einheitliche Willensbildung, eine interne Sanktionierung von Verstößen gegen gemeinschaftliche Regeln, die Anzahl der Mitglieder, ein von den konkreten Personen losgelöster Bestand, eine etwaige Gemeinschaftskasse, die Beanspruchung quasistaatlicher Autorität und die Einflussnahme auf grundlegende gesellschaftliche oder hoheitliche Akteure.

Anwendung im Wirtschaftsstrafrecht

Der BGH betont wiederholt die Anwendbarkeit dieser Kriterien auf Vereinigungen reichte Wirtschaftskriminalität. Er verkennt allerdings auch nicht, dass dies gerade bei Sachverhalten, in denen Straftaten im Zusammenhang mit einem legal am Markt operierenden Unternehmen begangen werden, dies durchaus Schwierigkeiten aufwirft. Denn in diesen Fällen wird eine ganze Reihe dieser gleichsam organisationsbezogenen Kriterien vorliegen.  So betont er auch, dass ein hoher betrieblicher Organisationsgrad den Rückschluss auf ein übergeordnetes Interesse dann nicht zulasse, wenn sich die Täter eines Wirtschaftsunternehmens bedienten, welches legal und nicht primär zu Begehung von Straftaten am Markt operiere (BGH, Urteil v. 2. Juni 2021, 3 StR 21/21, Rn. 33).

Diese Klarstellung scheint auch erforderlich, da ein Wirtschaftsunternehmen – gegebenenfalls untergeordnete Teile – etwa über organisatorische Strukturen, Regeln und finanzielle Mittel verfügt. Woran konkret der BGH in diesen Fällen die Abgrenzung orientieren wird, bleibt ein wenig im Dunkeln: Im konkreten Fall betont der BGH auch (BGH, Urteil v. 2. Juni 2021, 3 StR 21/21, Rn. 37), allein die Anmietung von Büroräumen, die Beschaffung von technischer Ausrüstung und die Ausrichtung auf längere Dauer seien nicht geeignet, ein übergeordnetes Interesse zu begründen. In der Gesamtschau mit anderen etwaigen Indizien erscheine es im konkreten Fall nicht „als generell unmöglich“, ein solches Interesse anzunehmen.

Wann jedoch ein Gewinnstreben im Unternehmenszusammenhang eine solche Qualität gewinnt, dass es ein übergeordnetes gemeinsames Interesse begründet, bleibt schwer zu bestimmen (vgl. zur schwierigen Abgrenzung etwa: MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl. 2021, StGB § 129 Rn. 22-26; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm StGB § 129 Rn. 4a).

Innerhalb einer größeren Organisation, die selbst keine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB darstellt, kann eine (kleinere) kriminelle Vereinigung bestehen (vgl. Fischer StGB § 129 Rn. 25).

Fazit: Signal an die Strafverfolgungsbehörden

Die Entscheidung rückt die geltende Rechtslage in den Blick. Die Anwendbarkeit des § 129 StGB kommt auch im Wirtschaftsstrafrecht ernsthaft in Betracht. Der BGH hat die Gelegenheit versäumt, klare Leitlinien für eine Abwägung zu etablieren. Die Gesamtwürdigung erweist sich bei näherer Betrachtung – gerade vor dem Hintergrund ohnehin bestehender Organisationsstrukturen – als schwer fassbar. Es wird zu verlangen sein, dass sich das übergeordnete Interesse gerade aus der Begehung von Straftaten ergibt, und insbesondere über den legalen Geschäftszweck hinausgeht. Die Unschärfe dieser Abgrenzung birgt insbesondere prozessual Gefahren: gerade im Ermittlungsverfahren kann dies prozessuale Eingriffe früher ermöglichen, als dies ansonsten zulässig wäre.

Zudem stellt die Entscheidung des BGH ein Signal an die Praxis der Ermittlungsbehörden und Tatgerichte dar, die Vorschrift des § 129 StGB in den Blick zu nehmen.