BGH stärkt das Beweisantragsrecht

Der BGH hat eine bemerkenswerte Entscheidung zum Beweisantragsrecht getroffen und dieses gestärkt.

Das Beweisantragsrecht hat zentrale Bedeutung für die Strafverteidigung. Immer wieder gab es allerdings Bestrebungen in der Rechtsprechung, das zuweilen als störend empfundene Beweisantragsrecht einzuschränken. Der Gesetzgeber hat das Beweisantragsrecht 2019 in Teilen neu gefasst und einige richterrechtlich entwickelte Grundsätze kodifiziert. Eine kürzlich veröffentlichte Entscheidung des BGH (Beschluss vom 1. September 2021 – 5 StR 188/21) widmet sich nun dieser Neufassung – und das mit erfreulicher Tendenz. Wir stellen die Entscheidung, die immerhin in die amtliche Sammlung aufgenommen werden soll, näher vor.

§ 244 Abs. 3 StPO – Was ist ein Beweisantrag?

Beweisanträge sind ein unverzichtbares Instrument der Verteidigung, gerade in komplexen Verfahren. § 244 Abs. 3 StPO enthält nunmehr eine gesetzliche Definition dessen, was ein Beweisantrag voraussetzt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann das Gericht den Antrag nur unter Berufung auf einzelne Ablehnungsgründe in S. 3 ablehnen. Die gesetzliche Definition lautet wie folgt:

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll.

Der letzte Halbsatz bezeichnet dabei die sogenannte Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel, auf welche im Folgenden einzugehen sein wird.

Beweissituation vor dem Landgericht- Beweisantrag der Verteidigung

Der Entscheidung des BGH lag folgendes Verfahrensgeschehen vor dem Landgericht zugrunde. Der Angeklagte war unter anderem wegen Beihilfe zum versuchten Mord zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Die Verteidigung des Angeklagten hatte beantragt, den Zeugen R zum Beweis der Tatsache zu hören, dass dieser zwei Anrufe des Nebenklägers erhalten habe, in welchen der Nebenkläger eine Bedrohung durch einen persischen Immobilienmakler beklagt habe. KHK M hatte ein Telefonat mit dem Zeugen R geführt, in welchen dieser ein Telefonat mit einem Berater „Mi.“ entsprechend wiedergegeben hatte. Den Nebenkläger kenne er – so R gegenüber KHK M – seit längerem, er habe in den letzten Wochen nicht mit diesem telefoniert. Der Nebenkläger hatte gegenüber dem KHK M telefonisch angegeben, ein solches Telefonat mit dem Zeugen R. nicht geführt zu haben. Auch in der Hauptverhandlung hatte er dies in Abrede gestellt.

Der Beweisantrag der Verteidigung zielte darauf, eine eigenständige geschäftliche Beziehung zwischen dem Nebenkläger und einem Mitangeklagten zu belegen. Zudem sollte die Glaubwürdigkeit des Nebenklägers erschüttert werden.

Ablehnung des Beweisantrags durch das Landgericht

Das Landgericht hatte den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dieser stelle keinen Beweisantrag dar. Denn es sei nicht ersichtlich, weshalb der Zeuge etwas anderes aussagen sollte, als in der bisherigen Hauptverhandlung festgestellt. KHK M. habe in der Hauptverhandlung seinen Vermerk bestätigt, hiernach habe der Zeuge R gerade nicht angegeben, er habe mit dem Nebenkläger telefoniert. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb der Zeuge gegenüber KHK M hätte lügen sollen. Im Übrigen passe die Beweistatsache nicht zum Ergebnis der Hauptverhandlung.

BGH: Ablehnung rechtsfehlerhaft

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil, soweit es den P. betraf, nunmehr mit den Feststellungen aufgehoben, die Ablehnung des Beweisantrages sei rechtsfehlerhaft erfolgt. Insbesondere stelle der Antrag einen Beweisantrag im Rechtssinn dar. Das Erfordernis eines Zusammenhangs zwischen Beweistatsache und Beweismittel sei gewahrt. Insoweit sei lediglich erforderlich, dass sich ergebe, weshalb das Beweismittel die Beweistatsache belegen solle. Dies werde sich vielfach von selbst verstehen – etwa wenn es darum gehe, ein von dem Zeugen nach der Beweisbehauptung geführtes Telefonat zu belegen. Liege dies nicht ohnehin auf der Hand, sei es erforderlich, diesen Zusammenhang näher darzulegen. So könne darzustellen sein, wie die konkrete Wahrnehmungssituation eines Zeugen war. Mehr sei allerdings auch nicht erforderlich. So führt der BGH Folgendes aus (Rn. 22):

Ausführungen zur inhaltlichen Plausibilität der Beweisbehauptung können dagegen vom Antragsteller in diesem Zusammenhang nicht verlangt werden

Insbesondere kann ein Beweisantrag nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die bisherige Beweisaufnahme stehe entgegen. Der BGH fasst dies wie folgt (R. 22):

Soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass sich der Beweisantrag darüber hinaus auch zu solchen Umständen verhalten muss, die ihn bei fortgeschrittener Beweisaufnahme mit gegenläufigen Beweisergebnissen dennoch plausibel erscheinen lassen – was sich insbesondere aus der Ablehnungsbegründung ergibt: es sei nicht dargelegt, warum der Zeuge „etwas ganz anderes als in der bisherigen Beweisaufnahme festgestellt, aussagen“ werde –, trifft dies nicht zu. Denn solche weitergehenden Anforderungen an die Konnexität, die die vom Landgericht vorgenommene Einstufung als bloßen Beweisermittlungsantrag rechtfertigen könnten, werden von Gesetzes wegen nach der umfassenden Neuregelung des Beweisantragsrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2121) nicht gestellt.

Insbesondere müsse der Antragsteller nicht weitere Umstände darlegen, die seinen Antrag etwa bei fortgeschrittener Beweisaufnahme als plausibel erscheinen lassen. Eine solche gleichsam qualifizierte Konnexität hatten frühere Entscheidungen des BGH teilweise verlangt. Dem tritt der fünfte Strafsenat nunmehr entgegen. Insbesondere betont er das für das gesamte Beweisantragsrecht prägende Verbot der Beweisantizipation (Rn. 25):

Den Verfahrensbeteiligten muss es auch möglich sein, solche Tatsachen unter Beweis zu stellen, deren Bestätigung durch das Beweismittel lediglich vermutet oder für möglich gehalten wird […]. Zudem ist das Beweisantragsrecht vom Verbot der Beweisantizipation geprägt […] Der Antragsteller muss auch eine Tatsache unter Beweis stellen können, für deren Richtigkeit die bisherige Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte ergeben hat und die ungewöhnlich oder unwahrscheinlich erscheint[…].

Der BGH hat auch das Beruhen des Urteils auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags bejaht. Dieses wurde mit den Feststellungen aufgehoben.

Stärkung der Verteidigungsrechte

Die Entscheidung ist für die Praxis in der Hauptverhandlung bedeutsam; sie ist uneingeschränkt zu begrüßen. Bemerkenswert ist insbesondere, dass sie die zentrale Funktion des Beweisantragsrechts hervorhebt. Diese besteht gerade darin, dem bisherigen Beweisergebnis entgegenstehende Gesichtspunkte zu belegen. Dem darf nicht durch zusätzliche Darlegungserfordernisse begegnet werden. Es ist zu hoffen, dass die Entscheidung ihre Wirkung bei den Instanzgerichten nicht verfehlen wird.