Kaum ein strafrechtliches Thema steht aktuell derart im Fokus der Öffentlichkeit wie Vorwürfe um sogenannte Cum-Ex Transaktionen. Der BGH hat die Strafbarkeit in einer aufsehenerregenden Entscheidung erstmals bestätigt (Urteil vom 28. Juli 2021 – 1 StR 519/20). Obwohl die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vorliegen, hat diese höchst-richterliche Klärung erhebliche Bedeutung für die Praxis. Es steht zu erwarten, dass die ermittelnden Staatsanwaltschaften im Komplex Cum-Ex nunmehr in großem Umfang Anklagen erheben werden. Medial wird dies teilweise als „Anklagewelle“ bezeichnet.
In jedem Fall lohnt ein genauerer Blick auf die Entscheidung des BGH und das zugrundeliegende Verfahren.
Cum-Ex Transaktionen können strafbar sein
Die allein vorliegende Pressemitteilung des BGH beschreibt den der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt der Cum-Ex Transaktionen wie folgt:
Das Bankhaus W. kaufte in der Dividendensaison der Jahre 2007 bis 2011 von Leerverkäufern jeweils kurz vor dem Hauptversammlungstag Aktien mit Dividendenanspruch (sog. „Cum-Aktien“); die Leerverkäufer lieferten – wie von vornherein geplant und auch gewollt – Aktien ohne Dividendenanspruch (sog. „Ex-Aktien“) und leisteten zur Kompensation an das Bankhaus W. je eine Ausgleichszahlung (sog. Dividendenkompensationszahlung), für die ab dem Jahr 2007 Kapitalertragsteuer zu entrichten ist. Allen Beteiligten war als Bankkaufleuten bekannt, dass diese Steuer weder auf Seiten der Leerverkäufer noch sonst einbehalten wurde. Gleichwohl stellte das Bankhaus W. sich selbst Steuerbescheinigungen zur Vorlage bei den Finanzbehörden aus, mit denen es – fälschlicherweise – den angeblichen Steuereinbehalt bestätigte.“
Der Entscheidung des BGH lag ein Urteil des Landgerichts Bonn zugrunde, welches die (überwiegend geständigen) Angeklagten zu Bewährungsstrafen verurteilt hatte. Dieses Urteil hat der BGH nunmehr bestätigt. Damit ist die Ahndung entsprechender Cum-Ex Transaktionen als Steuerhinterziehung erstmals höchstrichterlich bestätigt worden.
Urteil des Landgerichts Bonn vom 18.03.2021
Da die Entscheidung des BGH selbst noch nicht vorliegt, lohnt ein Blick in die Entscheidung des LG Bonn (62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19). Die umfassenden Urteilsgründe enthalten eine Vielzahl von Details zu den festgestellten Sachverhalten und erläutern die Funktionsweise der jeweiligen Cum-Ex Geschäfte im Einzelnen. Dies kann an dieser Stelle nicht näher dargestellt werden.
Auf einen Aspekt sei gleichwohl (erneut vereinfacht) zum besseren Verständnis der Cum-Ex Geschäfte hingewiesen: Das in Rede stehende Bankhaus erhielt jeweils die erworbenen Aktien ohne Dividendenanspruch und eine Kompensationszahlung in Höhe der Netto-Dividende. Dabei waren die Geschäfte so angelegt, dass ein Steuerabzug bei der ausführenden Stelle (oft einem ausländischen Institut) unterblieb. Der wirtschaftliche Vorteil in Höhe des nicht angeführten Steuerabzugs verblieb mithin zunächst beim Leerverkäufer. Denn das Bankhaus hatte den Preis für Aktien mit Dividendenanspruch gezahlt, eine Kompensationszahl allerdings nur in geringerer Höhe (Netto- Dividenden-Kompensationszahlung) erhalten. Sodann erhielt das Bankhaus eine Steuerbescheinigung, welche den (auf Seiten der ausführenden Stelle) tatsächlich nicht erfolgten Steuerabzug bescheinigte. Das Geschäft war für den Käufer insoweit bestenfalls wirtschaftlich neutral. Der wirtschaftliche Gewinn, welcher der nicht abgeführten Steuer entsprach, verblieb beim Leerverkäufer. Aus diesem Grunde kam Kurssicherungsinstrumenten hohe Bedeutung zu. Denn entsprechend bepreiste Instrumente dienten dazu, die wirtschaftlich erzielten Gewinne auf die Beteiligten zu verteilen (vgl. insbesondere LG Bonn, a.a.O., Rn. 395). Auf diese Weise kam den Käufern abredegemäß ein wirtschaftlicher Vorteil zu.
BGH zur Begründung der Strafbarkeit
Zentral führt die Pressemitteilung des BGH in rechtlicher Hinsicht an, nur eine tatsächlich einbehaltene Kapitalertragssteuer dürfe im Wege der Erstattung geltend gemacht werden:
Zum Zeitpunkt der Begehung der Taten sah das Gesetz bereits in den insoweit einschlägigen Vorschriften eine klare und eindeutige Regelung vor, gegen die die Beteiligten nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts verstoßen haben. Dies ergibt sich schon daraus, dass nur die tatsächlich einbehaltene Kapitalertragsteuer zur Anrechnung und Auszahlung angemeldet werden darf.“
Weitere rechtliche Ausführung enthält die Pressemitteilung nicht. Sie hebt weiter allein hervor, durch Leerverkaufsabreden werde kein wirtschaftliches Eigentum begründet. Der steuerstrafrechtliche Kern dieser Erwägung überrascht nicht: Wer wissentlich unrichtige Steuerbescheinigungen einreicht, um eine unberechtigte Anrechnung oder Auszahlung zu erwirken, begeht eine Steuerhinterziehung.
Einziehungsentscheidung in Millionenhöhe
Der BGH hat auch die gegen die einzelnen Beteiligten, insbesondere das Bankhaus, getroffene Einziehungsentscheidung in Millionenhöhe bestätigt.
Schriftliche Urteilsgründe?
Bereits die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 28. Juli 2021 (Nr. 146/2021) spricht eine deutliche Sprache. Gleichwohl bleiben die schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten. Insbesondere bleibt abzuwarten, ob und inwieweit auf gegen eine Strafbarkeit sprechende Erwägungen eingegangen wird. Auch tatsächlichen Aspekten der konkreten Gestaltung kommt großes Gewicht zu.
Kollusives Zusammenwirken von Käufer und Verkäufer
Die Pressemitteilung des BGH als solche ist aus sich heraus angesichts des komplexen Sachverhalts kaum verständlich. Sie setzt insbesondere eine gewisse Kenntnis des zugrundeliegenden Cum-Ex Verfahrens am LG Bonn voraus. Diesem lag eine Konstellation zugrunde, in welcher das Zusammenwirken von Leerkäufer und Leerverkäufer durch Angaben der Angeklagten weitgehend bestätigt war. Der BGH setzt auf Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen zwei Elemente in seiner Beurteilung voraus, ohne dass diese in der Pressemitteilung näher zum Ausdruck kämen: Zum ersten handelt es sich um die Kenntnis des Käufers davon, dass der Steuerabzug bei der ausführenden Stelle tatsächlich unterblieb. Zum anderen legt er eine nachträgliche Verteilung der wirtschaftlich erzielten Gewinne auf die Beteiligten zugrunde.
Vor diesem Hintergrund und mit diesem Wissen ist die Geltendmachung des Steuerabzugs aus den entsprechenden Bescheinigungen durchaus als Steuerhinterziehung zu würdigen. Der wirtschaftliche Sinn der komplexen und umfangreichen Geschäfte lag allein hierin. Ist ein solch kollektives Zusammenwirken nachgewiesen, liegt die Einordnung Steuerstraftat mehr als nahe. Die Rechtsprechung wird den nunmehr eingeschlagenen Leitlinien weiter folgen.
Erneut sei auch darauf hingewiesen, dass die Ausgestaltung und Vorgehensweise – insbesondere die einzelnen Handelsvorgänge – ausgesprochen komplex waren.
In jedem Fall werden die schriftlichen Urteilsgründe des Bundesgerichtshofs abzuwarten sein. Wir werden an dieser Stelle darüber näher informieren, sobald diese vorliegen.
Verteidigungschancen in Cum-Ex Verfahren
Der Entscheidung des BGH ist nicht zu entnehmen, dass sämtliche „Cum–Ex Transaktionen“ als solche strafbar sind. Erst recht ist ihr nicht zu entnehmen, dass jegliche Beteiligung an derartigen Geschäften eine Straftat darstellt.
Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit ist zunächst die Geltendmachung unberechtigter Steuererstattungen. Es ist an den Ermittlungsbehörden, ein kollektives Zusammenwirken – etwa in der oben beschriebenen Weise – konkret nachzuweisen. Dies muss zudem konkret für sämtliche Geschäfte, im jeweils betroffenen Zeitraum und für alle beteiligten Personen erfolgen. Zentrale Bedeutung wird dabei dem wirtschaftlichen Sinn entsprechender Geschäfte und den zwischen den Beteiligten getroffenen Absprachen zukommen. Ein besonderes Augenmerk wird ferner auf der behaupteten Gewinnverteilung liegen.
Jede Cum-Ex Konstellation ist gesondert zu beurteilen
Dabei ist jede Konstellation gesondert zu betrachten. Dies gilt auch und gerade für unterschiedliche Zeiträume. Wenn beispielsweise die behauptete Gewinnverteilung über komplex bepreiste Finanzinstrumente erfolgt sein soll, müssen diese in ihrer Funktionsweise erst dargelegt und bewertet werden. Abweichungen etwa von marktüblichen Gepflogenheiten müssen erst nachgewiesen sein.
Einbeziehung einer Vielzahl von Personen in Cum-Ex Geschäfte
Strafrechtliche Verantwortlichkeit setzt immer persönliche Vorwerfbarkeit voraus. Gerade bei der Einbindung einer Vielzahl von Personen in entsprechende Vorgänge ist jedem Beschuldigten konkret die Kenntnis sämtlicher Umstände nachzuweisen. Dies gilt auch für lang zurückliegende Zeiträume. Dem im Jahr 2020 ergangenen Urteil des Landgerichts Bonn lagen beispielsweise Vorgänge aus den Jahren 2007-2011 zugrunde.
Dieser Nachweis ist gerade in Konstellationen erforderlich, in denen Beschuldigte und Angeklagte von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen. Im Fall des Landgerichts Bonn hatten sich die Angeklagten umfangreich und überwiegend geständig geäußert.
Ausblick: Intensivere Verfolgung als Herausforderung für die Verteidigung in Cum-Ex Verfahren
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird zu einer Intensivierung der strafrechtlichen Verfolgung führen. Praktisch wird sie die rechtlichen Leitlinien für die Ahndung bilden. Es handelt sich jedoch gleichwohl um hochgradig komplexe strafrechtliche Vorwürfe. Der Tatnachweis ist immer konkret – insbesondere mit Blick auf einen konkreten Beschuldigten – zu führen. Die Verfahren stellen die Justiz auch wegen ihres Umfangs vor erhebliche Probleme. Der lange Zeitablauf kann sich ebenfalls als hinderlich erweisen. Dies stellt im Wirtschaftsstrafrecht ein weit verbreitetes Problem dar.
Es sollte trotz der Entscheidung des BGH keinesfalls aus dem Blick geraten, welche Verteidigungschancen sich konkret bieten.
Dr. Jan Philipp Book
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