Wann können unternehmerische Entscheidungen den Vorwurf einer Untreue begründen? Diese Frage beschäftigt immer wieder auch die Gerichte. Dass die Grenzziehung dabei vielfach schwer fällt, zeigt einmal wieder eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 10. Februar 2022, 3 StR 329/21). Bemerkenswert ist insbesondere, dass der landgerichtliche Freispruch von dem Vorwurf der Untreue insgesamt aufgehoben worden ist – ein lehrreiches Beispiel dafür, wie schwierig die Grenzziehung in der Praxis ist.
Inhalte
Unternehmerische Risikoentscheidungen und Untreue
Die Problemstellung ist lang bekannt: Geschäftsführer, Vorstände und sonstige Leitungspersonen müssen regelmäßig eine Vielzahl schwieriger wirtschaftlicher Entscheidungen – oft auf unsicherer Tatsachengrundlage und mit ungewissem Ausgang – treffen. Erweist sich eine Entscheidung sodann als Fehlentscheidung, können, gerade wenn die finanziellen Folgen einschneidend sind, schnell auch strafrechtliche Vorwürfe laut werden. Der Untreuetatbestand kann und soll jedoch nicht einfachen, wirtschaftlichen Risiken vorbeugen. Die Strafbarkeit ist jedenfalls auf Fälle einer gravierenden Pflichtverletzung zu begrenzen. Doch wo ist in der Praxis die Grenze zu ziehen?
Begleichung einer möglicherweise nicht bestehenden Verbindlichkeit: Untreue?
Die Entscheidung des BGH geht auf folgenden (hier vereinfachten) Sachverhalt zurück: Angeklagt war der Vorstand einer AG. Diese wollte ein von ihr gehaltenes Aktienpaket an eine andere AG veräußern. Im Rahmen dieses Prozesses beauftragte die AG zwei weitere Gesellschaften, die im Rahmen des Verkaufsprozesses und der Anbahnung der Transaktion unterstützen sollten. Das Aktienpaket wurde schließlich an einen Erwerber veräußert, ohne dass dies auf eine Tätigkeit der beiden beauftragten Gesellschaften zurück ging. Gleichwohl stellte eine der Gesellschaften der AG eine Rechnung über ca. 1,2 Millionen €. Diese ließ der Angeklagte, nachdem rechtliche Schritte angedroht worden waren, begleichen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten noch aus subjektiven Gründen freigesprochen. Der Angeklagte habe nicht sicher gewusst, ob der Verkauf auf eine Tätigkeit der beauftragten Gesellschaft zurückzuführen sei. Daher habe ein unternehmerischer Spielraum bestanden.
Stand der Rechtsprechung: business judgement Rule, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG
Der BGH nutzt die Gelegenheit, um den Stand der Rechtsprechung näher darzulegen; zentral sind insofern folgende Ausführungen (Rn. 9):
Eine Pflichtverletzung liegt erst dann vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss.
Werde eine Entscheidung auf unzureichender Tatsachengrundlage getroffen, könne dies eine Pflichtverletzung indizieren. Erforderlich sei letztlich ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln.
Unzureichende Urteilsfeststellungen
Gemessen an diesen Grundsätzen seien – so der Senat weiter – die Urteilsgründe lückenhaft. Insbesondere bleibe offen, auf welcher Grundlage der Angeklagte seine Entscheidung getroffen habe. So sei grundsätzlich anerkannt, dass Entscheidungsträger grundsätzlich alle verfügbaren Informationsquellen auszuschöpfen hätten. Dies sei jedoch stets in der konkreten Situation näher zu bestimmen. Die Tatsachenbasis müsse sich – unter Abwägung von Kosten und Nutzen sowie insbesondere auch der unternehmerischen Bedeutung der Entscheidung – als angemessen erweisen.
Insoweit lasse das Urteil die notwendigen Feststellungen vermissen. Insbesondere bleibe offen, welche Information (oder Beratung) der Angeklagte zu der zivilrechtlichen Rechtslage erhalten hat. Die bloße Drohung eines Vertragspartners, rechtliche Schritte einzuleiten, sei kein hinreichender Grund, eine Zahlung zu veranlassen. Es gelte gerade, wenn (mit bedingtem Vorsatz) das Nichtbestehen der zugrunde liegenden Forderung erkannt worden sei. Vor allem die Höhe der in Rede stehenden Forderung von mehr als 1 Million € hätte Anlass zu einer näheren Prüfung gegeben.
Leitlinien für die Praxis
In der Tat erweisen sich die mitgeteilten landgerichtlichen Feststellungen als wenig schlüssig bzw. widersprüchlich. Der Sachverhalt bedarf ersichtlich erneuter Aufklärung. Sollte eine Zahlung in Millionenhöhe ohne nähere Prüfung und in dem Bewusstsein, möglicherweise nicht zur Zahlung verpflichtet zu sein, angewiesen werden, dürfte dies in der Tat unvertretbar gewesen sein. Völlig anders wäre dies zu bewerten, wenn aufgrund entsprechender Beratung von einer Rechtspflicht oder einen hohen Prozessrisiko auszugehen war.
Die zentralen strafrechtlichen Leitlinien lassen sich wie folgt zusammenfassen. Grundsätzlich erkennt auch das Strafrecht einen weiten unternehmerischen Ermessensspielraum, gerade bei wirtschaftlich riskanten Entscheidungen an. Dies setzt allerdings Folgendes voraus:
- Orientierung des Handelns am Unternehmenswohl
- keine sachwidrigen Motive
- den Umständen des Einzelfalls angemessene Entscheidungsgrundlage
Nur wenn sich eine Entscheidung vor diesem Hintergrund als unvertretbar erweist, greift § 266 StGB ein. Der BGH formuliert, der Leitungsfehler müsse sich auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen. Abstrakt formuliert klingt dies nach einer präzisen Abgrenzung. In der Praxis ist dies gleichwohl vielfach nicht der Fall.
Die Schwierigkeit einer Abgrenzung geht oft auch darauf zurück, dass in der Bewertung selbstverständlich auf das Wissen der Entscheidungsträger im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist. Das Wissen um spätere Entwicklungen darf dies nicht verstellen – dieser Gefahr erliegen aber Ermittlungsbehörden nicht selten. Nicht umsonst handelt es sich um eine der umstrittensten Fragen des Wirtschaftsstrafrechts.
Dr. Jan Philipp Book
Weitere Fachartikel
- Wirtschaftsstrafrecht
- Wirtschaftsstrafrecht
- Wirtschaftsstrafrecht