Das BVerfG hat jüngst Beschlagnahme und Durchsuchung beim Steuerberater thematisiert und die dem Vorgehen der Ermittlungsbehörden zugrundeliegenden Beschlüsse aufgehoben (Beschluss v. 30. November 2021, 2 BvR 2038/18). Die Kammerentscheidung stellt dabei ausdrücklich eine Verletzung des Willkürverbots fest – Grund genug, sich der Entscheidung näher zu widmen, zumal dieser eine durchaus typische Konstellation zugrunde lag.
Grundlagen: Beschlagnahmeverbot und Teilnahmeverdacht
Durchsuchungen und Beschlagnahme bei Zeugnisverweigerungsberechtigten stellen besonders intensive Eingriffe dar.
Keine Beschlagnahme beim Zeugnisverweigerungsberechtigten
Daher enthält § 97 Abs. 1 StPO grundsätzlich ein Verbot der Beschlagnahme für Mitteilungen, Aufzeichnungen und Gegenstände, welche sich in Gewahrsam einer nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 3b StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Person befinden. Auf diese Weise soll eine Umgehung der Zeugnisverweigerungsrechte verhindert werden.
Die Ausnahme des § 97 Abs. 2 S. 2 StPO
§ 97 Abs. 2 S. 2 StPO wiederum sieht hiervon eine Ausnahme für den Fall vor, dass der Verdacht einer Beteiligung gegen den Zeugnisverweigerungsberechtigten begründet ist. Die Vorschrift lautet insoweit:
Die Beschränkungen der Beschlagnahme gelten nicht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist, oder wenn es sich um Gegenstände handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren.
Wann wiederum ein Tatverdacht gegen den Zeugnisverweigerungsberechtigten begründet ist, ist oftmals eine schwierig zu beantworte Frage insbesondere der subjektiven Voraussetzungen. Die Abgrenzung sogenannter berufstypischer Handlungen zur strafbaren Beteiligung in der Praxis vielfach schwer zu treffen.
Verfahrensgang: Durchsuchung und gerichtliche Entscheidungen
Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lag folgendes Geschehen zugrunde:
Kein Tatverdacht gegen den Steuerberater
Das Amtsgericht ordnete die Durchsuchung einer Steuerberatungsgesellschaft an. Gegen die Mandanten des betroffenen Steuerberaters bestehe aus näher ausgeführten Gründen der Verdacht der Steuerhinterziehung. Darüber hinaus bestehe gegen den Steuerberater der Verdacht der Beihilfe zu diesen Taten. Auf die Beschwerde des Steuerberaters hin bestätigte das Amtsgericht zunächst Durchsuchung und Sicherstellung, das Landgericht kam jedoch zu dem Schluss, dass diese rechtswidrig gewesen seien, da ein Tatverdacht gegen den Steuerberater nicht begründet sei. Insbesondere seien keine Umstände ersichtlich, aus denen sich auf einen Vorsatz des Betroffenen schließen lasse.
Kein Beweisverwertungsverbot
Gleichwohl ordnete daraufhin das Amtsgericht die Beschlagnahme bzw. Sicherstellung der bei dem Steuerberater im Zuge der Durchsuchung aufgefundenen Gegenstände an. Dies bestätigte auf die Beschwerde hin auch das Landgericht: die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung beim Steuerberater führen nicht dazu, dass sich insofern auch ein Beweisverwertungsverbot ergebe. Auch im Falle eines sich nachträglich ergebenden Tatverdachts gegen den Steuerberater sei die Verwertung zulässig. Dies müsse im Zuge der weiteren Durchsicht der Unterlagen erst ermittelt werden.
Gegen diese Vorgehensweise wandte sich der Betroffene sodann mit der Verfassungsbeschwerde.
Entscheidung des BVerfG: Willkür!
Das Bundesverfassungsgericht fand insofern deutliche Worte und stellte eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in Gestalt des Willkürverbots fest. Die weitere Durchsicht von sichergestellten Unterlagen setze als Teil der Durchsuchung voraus, dass deren Voraussetzungen fortbestehen. Dies sei dann nicht der Fall, wenn Beweismittel aufgespürt werden sollten, welche einem Beschlagnahmeverbot unterliegen. Die Rückausnahme des § 97 Abs. 2 S. 2 StPO sei ihrerseits an Voraussetzungen gebunden (BVerfG, a.a.O., Rn. 49):
Diese Rückausnahme vom Beschlagnahmeverbot setzt jedoch schon ihrem Wortlaut nach voraus, dass bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass der Zeugnisverweigerungsberechtigte an der Tat oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist. […] Durchsuchung, Durchsicht oder Beschlagnahme dürfen nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setzen einen Verdacht bereits voraus […]
Gerade dies ließen die angegriffenen Entscheidungen aber außer Acht (BVerfG, a.a.O., Rn. 51):
Der Verzicht auf einen Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt einerseits bei gleichzeitiger Verneinung eines etwaigen Beschlagnahmeverbots wegen der potentiellen Tatbeteiligung des Beschwerdeführers andererseits ist widersprüchlich und kombiniert in nicht mehr vertretbarer Weise die Voraussetzungen einer Durchsicht beim Verdächtigen und beim Nichtverdächtigen mit dem Ergebnis, dass zum fachgerichtlichen Entscheidungszeitpunkt weder ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer erforderlich ist, noch die mögliche Einschlägigkeit von Beschlagnahmeverboten gemäß § 97 Abs. 1 StPO und damit die Eignung und Angemessenheit der Durchsicht überhaupt näher zu prüfen und zu begründen wären
Verletzung des Willkürverbots
Damit stellt das Bundesverfassungsgericht – über die bloße Verletzung einfachen Rechts hinaus – auch einen Verstoß gegen das Willkürverbot fest. Eine gerade in Bezug auf gerichtliche Entscheidung durchaus seltene Feststellung. Zu deutlich war allerdings das Bestreben des Landgerichts, die Verwertbarkeit der aufgefundenen Unterlagen zumindest nicht auszuschließen und dabei die gesetzliche Regelung des § 97 Abs. 2 S. 2 StPO beiseite zu lassen. Bemerkenswert war insofern auch, dass der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme von der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde ausging (BVerfG, a.a.O., Rn. 32).
Ausblick: ein rechtsstaatlich sensibles Feld!
Dass es erst eines Eingreifens des Verfassungsgerichts bedurfte, verdeutlicht, wie sensibel der betroffene Bereich einer Durchsuchung beim Zeugnisverweigerungsberechtigten ist. Die Rechtsauffassung der nunmehr aufgehobenen Beschlüsse lief auf eine Aushebelung der gesetzlichen Regelung hinaus. Sie zeigt aber, dass Ermittlungsbehörden und Gerichte oft das notwendige rechtsstaatliche Bewusstsein – bis hin zu einem willkürlichen Vorgehen – vermissen lassen. Hinzu kommt, dass die Abgrenzung neutraler berufstypischer Handlungen zur strafbaren Teilnahme im Einzelfall äußerst unscharf und schwierig ist. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht sollte als Mahnung verstanden werden, die rechtlichen Anforderungen an Durchsuchung und Beschlagnahme beim Zeugnisverweigerungsberechtigten strikt zu wahren.
Dr. Jan Philipp Book
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